Lesson learned: Fliegen bei Staulagen

Ich bin, wie schon oft, mit 3 Passagieren zu einem Alpenflug ins Oberengadin mit Zwischenlandung in Samedan gestartet. Es war ein hochdruckbestimmter Samstagnachmittag im November, nur ein paar Cirren und leichte Bewölkung im Süden aufgrund mässigem Südwind (FL100 200/15). Der Flugweg erfolgte über den Julier vorbei am Piz Corvatsch über das Val Roseg auf FL125 vorbei am Biancograt in den Diavolezza-Kessel.

Die Südströmung hatte sich mit leichten Turbulenzen bereits im Lee des Berninas ein wenig bemerkbar gemacht. Im Talkessel legte sie sich jedoch wieder. Über dem Piz Cambrena drehte ich eine Linkskurve um nochmals am Piz Palü vorbei zu fliegen. Recht schnell realisierte ich, dass uns der plötzliche Aufwind im Nu auf FL135 hob. Und so entschied ich mich kurzerhand über den Bernina zu fliegen. Über der Fuorcla Crast‘Agüzza – kurz vor dem Bernina – ist unser Flugzeug dann aber plötzlich in starke Ab- und Gegenwinde geraten.

Sehr schnell wurde mir vor Augen geführt, dass ein Lycoming IO-360 in dieser Höhe schlicht keine Leistungsreserven mehr hat. Der Abwind war zu gross und entsprechend wurde unser Flugzeug nach unten «gedrückt». Da eine Steilkurve als Ausweichmanöver bei dieser geringen Luftdichte mit rund 50kg unter MTOW keine Option war, wich ich links dem Bernina aus und flog stattdessen auf die Luvseite und dann zwischen Piz Scerscen und Bernina zurück ins Val Roseg. Anschliessend flog ich unsere Maschine in einem normalen Landeanflug via Sierra nach Samedan.

Erst nach ein paar Stunden mit festem Boden unter den Füssen wurde mir bewusst, was sich da abgespielt hat und wie gewaltig Auf- und Abwinde von Rotoren auf ein Luftfahrzeug einwirken können, wenn auch bei „nur“ 15kt Südwind. Vermutlich war dieser auf FL135 aber dann schon deutlich stärker. Das zeigt auch unten stehende Grafik.

Und ehrlich gesagt: Diese Erfahrung ist mir ziemlich «eingefahren». Ich versuche mir seitdem diese unsichtbare Gefahr auf der Lee-Seite eines Gebirgszuges bereits im Briefing bewusst vor Augen zu führen und vorzustellen, wo ich mit Rotoren rechnen muss und wie ich ihnen am besten gar nicht begegne. Andererseits habe ich aber auch gelernt, dass kurzfristige, euphorische (evtl. Sauerstoffmangel bedingt) Entscheide gefährliche Konsequenzen haben können und gute, bewusste Entscheide einfach Zeit & sachliche Informationen brauchen.

Weitere, hilfreiche und illustrative Informationen findet ihr in der Rubrik resp. Broschüre «Typische Wetterlagen im Alpenraum» von Meteoschweiz oder auf der Website von Gerd Pfeffer, einem amibiontierten Jurist, Pilot und Hobbymeteorologen.


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